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Fast wie ein zweites Venedig, neben Venedig

Von Lothar W. Pawliczak

Murano (ursprünglicher Name: Amurianum oder Morianas) ist ja fast so berühmt, wie Venedig selbst und mit seinen 9 Inseln (insgesamt 459 Hektar, ca. 7.000 Einwohner), dem Canàl Grande di Murano, wo freilich eher volkstümliche Häuser als prächtige Paläste (auch die gibt es) stehen. Es wirkt wie eine Miniaturausgabe Venedigs. Verwaltungfsmäßig ist Murano zusammen mit S.Erasmo der 5. Bezirk Venedigs.
Bis zum 18. Jahrhundert waren auf den Inseln auch ausgedehnte Gemüsegärten; von den 17 Kirchen sind nur noch 4 vorhanden. Ein wirtschaftlicher Neuaufschwung der Glasindustrie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts führte zu umfangreicher Bautätigkeit, viele historische Gebäude wurden dabei zerstört. Es gab im 19. Jahrhundert etwa 150 Werkstätten bei ca. 30.000 Einwohnern, heute gibt es noch 80 Glasmanufakturen und eine industrielle Glasfabrik.

In den meisten Reiseführern steht, daß die Kunst der Glasherstellung und -bearbeitung im 11 Jahrhundert aus dem Orient - namentlich aus Syrien - nach Venedig kam. Bei Ausgrabungen hat man aber hier und auf Torcello durchsichtige Scherben aus dem 7. Jahrhundert gefunden und es gibt ein Dokument aus dem Jahre 982, in dem ein fiolaro=Phiolenmacher - und zwar ein Mönch des Klosters S.Giórgio - erwähnt wird. Die älteste überlieferte Beschreibung der Glasherstellung mit ausdrücklichem Bezug auf Venedig ist überliefert bei Georgius Agricola: De Re Metallica Buch XII.
Nach der Eroberung Konstantinopels 1204 wurden auch Glasmacher hierhergebracht. Die älteste Zunftordnung stammt aus dem Jahre 1271. 1275 erlangte Murano einen autonomen Status. 1285 wurde der Re-Export von Grundstoffen der Glasindustrie verboten, 1295 wurden alle Meister aus der Zunft (arte) ausgeschlossen, die einen Glasofen außerhalb von Venedig betrieben. Seit 1302 war man hier in der Lage, Brillen aus Glas herzustellen (bis dahin mußten Linsen aus teurem Naturkristall geschliffen werden) und man beherrschte die Herstellung planer Glasflächen für Fenster und Spiegel. Bis zum 14./15. Jahrhundert waren Spiegel aus poliertem Metall in Gebrauch, 1507 meldeten die Brüder da Gallo ein Patent für die Herstellung „wirklicher Kristallspiegel, die ein so kostbarer und seltsamer Gegenstand waren“ an. Man beschichtete Glas, das natürlich blasenfrei sein mußte (das Geheimnis war ganz einfach und wahrscheinlich wußten die meisten Glasmacher auf Murano gar nicht, daß es ein Geheimnis war: die Glasmasse muß in der Schmelze gerührt werden), mit Quecksilber und einer Zinnfolie. Nirgends sonst konnte man so feines und vor allem blasenfreies Glas herstellen.
1441 wurde eine Mariegola erlassen, die das Glashandwerk ordnete und seine Ausübung auf Murano beschränkte. Der Rat der Zehn bestimmte, daß Glasbläser, die die Insel verlassen hatten, zur Heimkehr aufgefordert werden sollen. Wenn sie sich weigerten, sollten deren verwandten inhaftiert werden. Wer dann immer noch nicht der Aufforderung folgt, sei für Vogelfrei zu erklären und aus der Welt zu schaffen...
Die Einwohner von Murano lebten weitaus besser, als die niederen Schichten in Venedig. Spezieller Schutz für jugendliche Arbeiter, arbeitsfreie Zeiten, 6stündiger Schichtwechsel und Renten waren zugesichert. Nobili, die die Tochter eines Glasbläsers heirateten, gingen nicht ihres Status verlustig (sonst war denen nur die Heirat einer Cittadina, nicht aber von Handwerker-Töchtern erlaubt). Nur eines durften die Einwohner von Murano niemals: die Insel verlassen. Wer es dennoch tat, wurde von venezianischen Geheimagenten durch ganz Europa und Asien verfolgt. Die Serenissima hatte gut organisierte Agenten, die Flüchtlinge und andere mißliebige Personen diskret - und bis ins 19. Jahrhundert kaum aufklärbar - ermordeten: Der venezianische Dolch aus Murano-Glas brach beim Zustechen ab und so schließt sich die Wunde wieder, die man nur bei gründlicher Untersuchung der Leiche findet.

1606 stellte Girolamo Magagnati erstmals durchsichtiges Farbglas her. Murano war vom 15. bis zum 18. Jahrhundert unangefochtenes Zentrum der europäischen Glasherstellung, geriet aber ab dem 17. Jahrhundert zunehmend in die Krise, als billigeres Glas aus Böhmen und England zunehmend Verbreitung fand und französische geschliffene Spiegel die aus Murano verdrängten. Zuerst warben Anfang des 17. Jahrhundert der Herzog von Buckingham und Herzog Cosimo II. von Florenz venezianische Glasarbeiter ab und der Minister Colbert baute gezielt eine französischen Konkurrenz speziell in der Spiegelproduktion wie auch in der Spitzenherstellung (nach 1664 zuerst in Reims) auf. Im 19. Jahrhundert begann aber ein Wiederaufschwung, der wesentlich durch den Glasmacher Andrea Salvati befördert wurde.
Noch nie hat einer gefragt, wie sie die Gläser eigentlich transportiert haben: Wenn Sie mit mir eine Lagunenrundfahrt unternehmen und auch nach Murano kommen, verrate ich Ihnen selbstverständlich das Geheimnis und noch manches mehr

Siehe auch www.qype.com/lists/692540-noerdliche-Lag une-von-Venedig

Geschrieben 17.09.2010, Geändert 22.09.2010, 4786 x gelesen.

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